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Unesco-Dekade

Bildung für nachhaltige Entwicklung - eine "enge" Definition

Gliederung dieser Seite

Grundlegungen

Die hier vertretene Definition von Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) basiert auf folgenden Grundlegungen:

Bildung für nachhaltige Entwicklung

  • fördert Werte und Kompetenzen, die dazu beitragen können, die Gesellschaft nachhaltig zu gestalten [1]
  • greift die beiden großen Diskussionsstränge im Nachhaltigkeitsdiskurs auf und bezieht sie aufeinander, d.h. sie
    • sucht nach inter- und intragenerationeller Gerechtigkeit und analysiert und kritisiert dementsprechend inter- und intragenerationelle Ungerechtigkeit [2] und
    • fördert die Erforschung unserer natürlichen Lebensgrundlagen und deren Achtung als unabdingbare Voraussetzung für ein gutes Leben aller Menschen [3]
  • macht „Leitplanken“ einer nachhaltigen Entwicklung – so die Regel des konstanten Naturkapitals, die Managementregeln und Nachhaltigkeitsstrategien wie Effizienz, Suffizienz, Resilienz – erfahrbar und nachvollziehbar [4]
  • greift „Schlüsselthemen“ einer nachhaltigen Entwicklung auf [5]
  • basiert auf einem Bildungsverständnis, nach dem Wissen von Lehrenden, Lernenden und ggf. weiteren Beteiligten gemeinsam geschaffen („konstruiert“) wird und setzt daher Methoden ein, die partizipatives, konstruktives, forschendes, reflexives, diskursives Lernen unterstützen [6]
  • sucht und vermittelt Handlungsorientierungen in der Lebenswelt. [7]

 

Diese Definition ist wesentlich enger gefasst als andere, z.B. als die BNE-Definition

Werte und Kompetenzen

[1] BNE als Bildungskonzept hat eine pädagogische Zielstellung im Kontext umwelt- und gesellschaftspolitischer Ziele bzw. Herausforderungen.

Werte sollten hierbei – neben den Kompetenzen – als Zielkategorie herausgehoben werden, da die Idee der Nachhaltigkeit grundlegend auf Werten aufbaut. de Haan (2008) und Rieckmann (2010) haben Sets von Kompetenzen vorgelegt, die als Orientierung dienen können (vgl. BNE in der Schule).

Gerechtigkeit

[2] Die Kernidee der (starken) Nachhaltigkeit ist, dass alle Menschen – heute und in Zukunft – die Chance bekommen zu überleben und darüber hinaus ihre menschlichen Fähigkeiten zu entfalten. Zudem sollte keine künftige Generation schlechter gestellt sein als die heutige. Es geht hier also um Verteilungs- und Chancengerechtigkeit in Gegenwart und Zukunft.

„Nachbardisziplinen“ der BNE sind hier die entwicklungspolitische Bildung und das Globale Lernen. In dieser Nachbarschaft ist eine sinnvolle begriffliche Abgrenzung ebenso wünschenswert wie eine gegenseitige Anerkennung und Inspiration auf der inhaltlichen Ebene.

Verbindungen zwischen Globalem Lernen und BNE werden z.B. in dem 2007 erschienenen „Orientierungsrahmen für den Lernbereich Globale Entwicklung im Rahmen einer Bildung für nachhaltige Entwicklung“ geknüpft (KMK/BMZ 2007).

Natürliche Lebensgrundlagen

[3] Für die Theorie der starken Nachhaltigkeit ist es essenziell, unsere natürlichen Lebensgrundlagen – das „Naturkapital“ – nicht als eine homogene Größe anzusehen. Unter dem Blickwinkel einer gerechten Nutzung und Vererbung muss vielmehr zwischen (lebendigen bzw. nicht lebendigen) Fonds und Vorräten unterschieden werden (Ott/Döring 2008, S. 219ff). Die ersten (z.B. Wälder, Fische, Boden) stiften Nutzen, können genutzt werden und regenerieren sich, wenn sie nicht übernutzt werden. Die zweiten (z.B. Erdöl) werden bei ihrer Nutzung aufgebraucht, sie bilden sich in den für Menschen relevanten Zeiträumen nicht nach, so dass sie „funktional substituiert“ (ebd.) werden müssen (z.B. durch Aufbau der Technologien zur Nutzung erneuerbarer Energien und nachwachsender Rohstoffe).

Die „Erforschung unserer Lebensgrundlagen“ kann eng an diese Theorie des Naturkapitals angelehnt werden. Es geht um das Verständnis davon, auf wie vielfältige Weise wir die Natur nutzen, es geht – um mit Brämer (2006) zu sprechen – nicht darum, die in den Köpfen Jugendlicher weit verbreitete „ausgeprägte Sauberkeitsästhetik und bambihafte Verniedlichung der Natur“ zu fördern. Die Vermittlung grundlegender Kenntnisse über natürliche Systeme bleibt dabei Gegenstand z.B. von Biologie und Geographie. Auch z.B. Naturerfahrungs- bzw. Naturerlebnispädagogik bleiben berechtigte und eigenständige Konzeptionen außerhalb der BNE.

Aus Sicht der BNE ist die Nutzung des Naturkapitals untrennbar mit der Frage verbunden, wer denn in welchem Umfang an dem Nutzen teilhat, bzw. wer in welchem Umfang eventuelle Lasten zu tragen hat – also mit der Frage nach Gerechtigkeit. Vergleichen Sie das mit der noch jungen Wissenschaftsdisziplin der Bionik, in welche Biologie, Chemie, Physik und Technik eingehen und in der letztlich das Lernen der Technik aus natürlichen Vorbildern organisiert wird. So wie die „reinen“ Naturwissenschaften weiterhin ihre Forschungsgebiete und ihre Berechtigung haben, so behalten nach der oben vorgeschlagenen Definition auch die Umweltbildung und das Globale Lernen ihre Berechtigung als eigenständige Konzepte. Auch z.B. Rieckmann (2010, S. 11) sieht BNE und Globales Lernen als gleichrangige Konzepte an.

Ein Lernarrangement, in dem der faire Handel „nur“ aus ökonomischer und sozialer Perspektive thematisiert wird, wäre demnach ebenso wenig der BNE zuzurechnen wie ein Lernarrangement, in dem es „nur“ um die Herstellung und das Recycling von Papier geht. Wenn man das Thema Papier hingegen auf die Problematik der Rohstoffgewinnung (darunter Kahlschlag von Primärwäldern und somit Zerstörung des Lebensraumes der indigenen Bevölkerung) und auf den globalen Papierkonsum (Deutschland verbraucht mehr Papier als ganz Afrika) ausdehnt – und wenn man dabei weitere der o.g. Aspekte anwendet, dann kann BNE entstehen. Beispielhaft hierfür kann das Projekt „Der Papierkoffer“ vom Eine-Welt-Landesnetzwerk MV e.V. (2011) stehen.

Die Formulierung „ökologische Themenfelder mit sozialen und wirtschaftlichen Aspekten verknüpfen“ (Hamburger Aktionsplan, Freie und Hansestadt Hamburg 2005) halte ich hingegen für weniger glücklich, da sie im Sinne des bereits kritisierten „Nachhaltigkeitsdreiecks“ dahingehend fehlinterpretiert werden könnte, dass ein additives Nebeneinander ökologischer, ökonomischer und sozialer Aspekte für die BNE ausreichend sei.

Dass Ott/Döring (2008, S. 172-175), über einen reinen Anthropozentrismus hinaus, die Aufnahme (zumindest) höher entwickelter, empfindungsfähiger Tiere in die Moralgemeinschaft („Sentientismus“) für angemessen halten, wurde bereits in dem Exkurs: Die Theorie der starken Nachhaltigkeit betont. Die BNE sollte die Frage nach dem moralischen Eigenwert von Natur bei geeigneten Anlässen mit aufgreifen.

Der über die Achtung hinaus gehende Schutz unserer natürlichen Lebensgrundlagen ist Sache der Politik, nicht der Bildung.

Leitplanken

[4] Die Regel des konstanten Naturkapitals sowie die Managementregeln gehören für Ott/Döring (2008) mit zum Kern der Theorie der starken Nachhaltigkeit. Effizienz, Suffizienz und Resilienz sind hingegen „Brückenprinzipien“ (zwischen Theoriekern und Anwendungsfällen, Ott/Voget 2007 S.2). Für die Zwecke der BNE halte ich es für gerechtfertigt, diese Regeln und Prinzipien in einem Aspekt zu vereinen, obwohl sie aus Sicht der Theorie auf verschiedenen Kategorie-Ebenen stehen.

Schlüsselthemen

[5] Ott/Döring (2008, S. 346-347) betrachten bspw. die Land- und Forstwirtschaft, die Umweltmedien (=Boden, Wasser, Luft) und den Naturschutz als paradigmatische Themen („Anwendungen“), die „im Gefüge der gesamten Theorie vorkommen müssen.“ Tourismus, Städtebau und Verkehrspolitik gehören sicher zur Theorie einer starken Nachhaltigkeit; für die Staatsverschuldung, die Studienanfängerquote oder die Zahl der Wohnungseinbrüche (wie sie in der Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung vorkommen, vgl. Nachhaltige Entwicklung in Deutschland) sei das hingegen unsicher. – Es gibt demnach weitgehende Überschneidungen zu den Schlüsselthemen, wie sie z.B. in der BNE-Definition des Hamburger Aktionsplans genannt werden, aber keine vollständige Übereinstimmung.

Bildungsverständnis

[6] BNE basiert auf einem Verständnis von Lernen als Ko-Konstruktion (vgl. Konstruktivismus auf der Seite Lerntheorien). Aber auch wer sich die zentralen Merkmale der Nachhaltigkeitsidee – so etwa ihre kommunikative, prozessorientierte Ausrichtung und die Bedeutung der Partizipation – vor Augen hält, wird zu dem Schluss kommen, dass es in der BNE weniger darauf ankommt, Wissen zu vermitteln, als gemeinsam Wissen zu schaffen (vgl. Merkmale der Nachhaltigkeitsidee). Es gibt dafür viele geeignete Methoden (vgl. Methoden der BNE).

Handlungsorientierungen

[7] Eine nachhaltige Entwicklung wird letztlich nur in konkreten Handlungen von Menschen erreicht. BNE soll diese den Lernenden nicht vorgeben – das wäre Indoktrination. Sie sollte aber aufzeigen, dass nachhaltiges Handeln notwendig und möglich ist, z.B. indem die Bildungsstätte selbst zum Lerngegenstand gemacht wird (vgl. Nachhaltigkeitsaudit), indem nachhaltiges Handeln in einer Schülerfirma ausprobiert wird oder indem in einem konsumkritischen Stadtrundgang Nachhaltigkeitsdefizite und Konsumalternativen thematisiert werden.

Anwendbarkeit

So wie die BNE hier verstanden wird, ist an Lernende ab Schulalter gedacht. In dieser engen Auslegung ist BNE eher kein Konzept für die frühkindliche Bildung. Dort sollten eher die Grundlagen für eine spätere BNE gelegt werden – oder es müssten für diese Zielgruppe spezifische BNE-Konzepte entwickelt werden.

 

Der Arbeitsbereich "Agenda 21 und Bildung für nachhaltige Entwicklung" auf umweltschulen.de entstand in Kooperation mit dem Fernstudiengang Umwelt&Bildung der Universität Rostock.