Kopfbanner Bildung für nachhaltige Entwicklung - international
Suche


RSS-Feed

umweltschulen.de ist Einzelbeitrag

Unesco-Dekade

Bildung und Fürsorge in finnischen Schulen

Das Unterstützungssystem für Lernende (education and welfare) hinterließ während unserer Finnlandreise einen starken Eindruck. Im finnischen Bildungssystem kümmern sich neben den Lehrern auch Schulpsychologen, -Sozialarbeiter, -Krankenschwestern und -Ärzte um die Kinder. Den Lehrern wird es damit ermöglicht, sich auf ihre Kernaufgabe – das Unterrichten – zu konzentrieren, zumal für besonders leistungsschwache Schüler zusätzliche Fördermöglichkeiten existieren. Finnland investiert sichtbar mehr Ressourcen in sein Bildungssystem als Deutschland. Aber nicht alleine der Umfang dieser Unterstützung beeindruckte uns. Vielmehr schien in politischen Verlautbarungen, in den Statements von Bildungsexperten und auch in der beobachteten schulischen Praxis immer wieder der unbedingte Wille durch, jedes Kind wertzuschätzen und auf dem Weg durch die Ausbildung „mitzunehmen“, Entwicklungsprobleme frühzeitig zu erkennen und gezielt zu intervenieren – anstatt problematische Kinder sitzenbleiben zu lassen oder sie an andere Schul(form)en abzuschieben.

Die Schulbehörde der Stadt Helsinki geht davon aus, dass 20-30% der Lernenden in jeder Altersstufe im Laufe eines Schuljahres (einmalig, mehrfach oder dauerhaft) spezielle Unterstützung benötigen, z.B. aufgrund von Lernschwierigkeitenpsychischen oder sozialen Problemen. Hinter dieser Zahl stecken viele Einzelschicksale; dahinter steckt aber auch gesellschaftliche Brisanz: Kein Land kann es sich leisten, einen so großen Anteil der Jugend im Bildungsprozess zurückzulassen. Mit ihren Unterstützungssystemen gelingt es den Finnen deutlich besser, ihre „Bildungsreserve“ auszuschöpfen, so wechseln in Finnland 55% der Schüler nach der 9. Klasse ans Gymnasium.

Nachfolgend werden verschieden Aspekte dieser Fördersysteme skizziert.

Zielgruppe lernschwache Schüler

Lern- und Entwicklungsprobleme von Kindern sollen möglichst früh erkannt werden, damit auch möglichst früh interveniert werden kann. Diese Aufgabe müssen Lehrer nicht alleine bewältigen, ihnen stehen Schulpsychologen, -Sozialarbeiter, -Krankenschwestern und -Ärzte zur Seite. Die Schulleiterin der Pihkapuisto-Grundschule berichtete zudem darüber, dass ihre Schule mit den Kindergärten bzw. Vorschulen kooperiert, auf diese Weise über dort bereits aufgetretene Auffälligkeiten informiert wird und somit oft vor dem ersten Schultag weiß, welche Kinder besondere Unterstützung brauchen.

Die Förderinstrumente sind so abgestimmt, dass auch bereits bei weniger gravierenden Problemen geholfen werden kann - bevor sie sich zu gravierenderen Problemen auswachsen.

  • So gibt es an jeder Schule das Instrument der zeitweiligen speziellen Förderung - 28% der Schüler nehmen diese in Anspruch. Dafür steht den Grundschulen (in Helsinki) ein Zeitbudget von 0,1 Stunde pro SchülerIn zur Verfügung, in den Sekundarschulen (in Helsinki) gibt es zwei Förderlehrer pro Schule.
  • Bei gravierenden Problemen erfahren die Kinder eine Vollzeit-Förderung. Dies nehmen 8% der finnischen Schüler in Anspruch. Hierfür ist eine Verwaltungsentscheidung notwendig.

Lernschwache Schüler sollen möglichst in ihrer normalen Klasse gefördert werden; dafür werden teilweise Lehrassistenten bereitgestellt, welche schwachen Schülern (und nicht den Lehrern) helfen sollen. Wenn eine Förderung in der normalen Klasse nicht möglich ist, richten die Schulen Spezialklassen ein, vgl. Pihkapuisto-Grundschule, daneben gibt es auch spezielle Förderschulen. In Helsinki gibt es spezielle Förderschulen für

  • SchülerInnen mit Lernproblemen
  • SchülerInnen mit sozialen Problemen
  • SchülerInnen mit Sprachschwierigkeiten
  • geistig zurückgebliebene SchülerInnen
  • hörgeschädigte und taubstumme SchülerInnen.

Lernschwache / lernbehinderte Kinder können ihre allgemeine Schulausbildung in einem geringeren Lerntempo absolvieren und dazu 11 (statt 9) Jahre lang die allgemeinbildende Schule besuchen.

Die kommunalen Schulbehörden unterstützen ihre Schulen bei diesen Aufgaben z.B. durch Beratung und Fortbildungen, sie unterstützen u.a. die Erarbeitung individualisierter Bildungsprogramme für lernschwache SchülerInnen.

Foto: Th. Wahl-Aust

Schlicht aber sinnvoll: Dieses mit Luft gefülltes Gummikissen kann auf einen ganz normalen Stuhl aufgelegt werden und ermöglicht es dann "zappligen" Kindern, ihrem Bewegungsdrang nachzukommen. (Pihkapuisto-Grundschule in Helsinki)

Zielgruppe Immigranten bzw. nationale Minderheiten

Immigranten bzw. nationale Minderheiten haben das gleiche Recht auf Bildung wie alle anderen Finnen auch.

Grundlegende bildungs- und gesellschaftspolitische Ziele bei der Ausbildung von Einwanderern, Kindern und Erwachsenen sind

  • Gleichberechtigung,
  • eine funktionierende Zweisprachigkeit und
  • kultureller Pluralismus.

Die beiden wichtigsten Minderheiten in Finnland sind

  • die schwedische Bevölkerungsgruppe: Ca. 6% der Einwohner sind Schweden; mit Rücksicht auf sie ist das Schwedische die offizielle zweite Landessprache, so sind z.B. in Helsinki alle Straßen zweisprachig ausgeschildert. Finnen wie Schweden haben das Recht auf Ausbildung in ihrer Muttersprache, so gibt es diverse schwedische Schulen, zwei schwedische Universitäten und sechs bilinguale Universitäten (hier können Prüfungen wahlweise in Finnisch oder in Schwedisch abgelegt werden) in Finnland.
  • die im Norden Finnlands lebenden Samen. Sie haben als Ureinwohner das Recht, ihre Sprache und Kultur zu erhalten und zu pflegen. Gesamtschulen, Gymnasien bzw. Berufsschulen können Samisch als Unterrichtssprache verwenden und diese Sprache als Muttersprache oder als Fremdsprache unterrichten.

Zudem ist Finnland ein Einwanderungsland, das sich gezielt um die Ausbildung seiner Einwanderer kümmert.

  • Kinder von Migranten können 700 Stunden Vorschule, 450 Stunden Vorbereitung auf die Schulbildung sowie weitere Basisbildung in Anspruch nehmen. Vergleichbare Bildungsangebote gibt es auch für erwachsene Migranten.
  • Kinder von Migranten können in ihrer Muttersprache unterrichtet werden (landesweit in 41 verschiedenen Sprachen); sie können zudem speziellen Sprachunterrricht in Finnisch absolvieren bzw. zweisprachige Klassen besuchen.
  • Z.B. die Stadt Helsinki setzt bewusst auf Zweisprachigkeit und Mulitkuluralität. Jede Schule in Helsinki hat internationale Partner.
  • 68% der Ausländer/Migranten bzw. 98% der Finnen gehen nach der 9. Klasse an eine weiterführende Schule. Das zeigt, dass eine absolute Gleichberechtigung nicht erreicht ist, dennoch ist die Quote für die Migranten ein großer Erfolg.

Zudem sollen auch Finnen umfangreiche Fremdsprachkompetenzen erwerben - in den Gesamtschulen werden insgesamt neun verschiedene Fremdsprachen angeboten.

Foto: Th. Wahl-Aust

Eine interkulturelle Lerngruppe beim Projektunterricht zum Thema Mülltrennung
(Pihkapuisto-Grundschule in Helsinki)

Schulsozialarbeit und Schülerfürsorge (pupils welfare)

Das finnische Bildungssystem will Kinder und Jugendliche mit Problemen unterstützen und sozialem Ausschluss vorbeugen.

Foto: Th. Wahl-Aust

Auch das kostenlose Mittagessen gehört zu dem finnischen Bildungssystem.

In den neuen Bildungsgesetzen von 2003 (The Basic Education Act, The Upper Secondary School Act, The Vocational Adult Education Act) wird Schülerfürsorge definiert als die Förderung und Wahrung der Lernfähigkeit von Schülern, ihrer physischen und psychischen Gesundheit und ihres sozialen Wohlbefindens. Das schließt andere Aktivitäten, welche die Bedingungen dafür verbessern, mit ein. Schulsozialarbeit und Schülerfürsorge sind (ähnlich wie z.B. auch der Umweltschutz) keine Additive - sie sollen sich vielmehr durch die gesamte Schulpolitik ziehen.

Auch im Bereich der Schulsozialarbeit und Schülerfürsorge gilt das Prinzip der Vorbeugung und zeitigen Intervention. Bildungs-, Sozial- und Gesundheitsbehörden sowie Schule und Elternhaus sollen miteinander kooperieren.

Aus Schülersicht bedeutet Fürsorge, dass

  • die Schule ein sicherer und angenehmer Platz zum Arbeiten ist,
  • sie die Beratung und Obhut bekommen, die sie täglich brauchen,
  • sie die Hilfe bekommen, die sie in problematischen Situationen brauchen.

Schüler kontaktieren die Schulsozialarbeiter bei Verhaltensproblemen, bei Problemen in persönlichen Beziehungen, bei familiären Problemen, emotionalen Problemen, Umbrüchen in ihrer Ausbildung bzw. bei Lernproblemen. (Für die Stadt Helsinki ist diese Reihenfolge zugleich die Rangfolge der Kontakthäufigkeit; Lernprobleme stehen beim Schulsozialarbeiter an letzter Stelle, weil hierfür in der Regel der Schulpsychologe zuständig ist.)

Foto: Th. Wahl-Aust   Foto: Th. Wahl-Aust

Links: Risto Tenhunen im Gespräch mit der Schulkrankenschwester der Pihkapuisto-Grundschule in Helsinki. Rechts: Ein Blick in den Masterplan für die Gesundheitsuntersuchungen der Kinder - hier ist vermerkt, welche Aspekte in welcher Klassenstufe zu untersuchen sind.

Schülerfürsorge ist nicht alleine Aufgabe der Schulsozialarbeiter. An finnischen Schulen gibt es Schülerfürsorge-Teams, zu denen insbesondere der Schulleiter, die Schulkrankenschwester, der Schulsozialarbeiter, der Schulpsychologe, Förderlehrer sowie Berater gehören. Diese Teams treffen sich regelmäßig, sie koordinieren die Schülerfürsorge ihrer Schule, suchen Lösungen für hilfebedürftige Schüler oder beteiligen sich an der Erarbeitung des Hauscurriculums, um hier Belange der Schülerfürsorge mit einzubringen.

In Helsinki arbeitet ein Schulsozialarbeiter pro 787 Schüler. In kleineren Schulen, vgl. Pihkapuisto-Grundschule, sind diese Spezialisten "nur" teilzeit im Einsatz, in größeren Schulen jeden Tag.

Quellen

  • Leena Hiillos (City of Helsinki - School department): Persönliche Mitteilungen im Rahmen des Finnisch-Deutschen Erfahrungsaustauschs zur Bildung für nachhaltige Entwicklung in Finnland
  • Sirkka-Liisa Makkonen (City of Helsinki - School department): Persönliche Mitteilungen im Rahmen des Finnisch-Deutschen Erfahrungsaustauschs zur Bildung für nachhaltige Entwicklung in Finnland
  • Finnisches Zentralamt für Unterrichtswesen (Hrsg.): Das Bildungsangebot für Migranten in Finnland. Helsinki (o.J.)
  • Finnish Natinal Board of Education (Hrsg.): Das Finnische Bildungssystem (deutsche Version): http://www.oph.fi/english/pageLast.asp?path=447;4699;9615;11131

Zum Weiterlesen