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Unesco-Dekade

Land unter... Hochwasser und Umweltbildung

Ein Bericht aus Prag

Liebe Leute,
über die Flut erfuhr ich in Honningsvåg, norwegischem Städtchen bei Nordkapp. Trotz der Fülle der Bilder der überquellenden Moldau, die sich den Weg auf die erste Seite des Aftenposten durchgesetzt haben, war, und ist, die Wirklichkeit viel schlimmer.

Schon der Anblick auf Dresden war erschütternd - hatte aber nicht an Prag vorbereitet. Hier wurden vier Vierteln schwer getroffen, fast 25% der Stadt. Insgesamt wurden hier über 70 000 Menschen evakuiert, und viele konnten noch nicht zurückkehren, da ihre Häuser nassgesogen sind, und siebzehn Gebäude stürzten inzwischen zusammen.

Das alles ist um so schlimmer, dass eine Flut in diesem Unfang seit mehr als hundert Jahren nicht eingetroffen war. Die Spezialisten sprechen von einem Fünfhundertjahrewasser. Man muss aber im Hinterkopf behalten, dass Moldau für einen ruhigen, ja langweilligen Strom gehalten wird. Ich selbst wuchs mit der Behauptung meiner Grosseltern auf, dass "in Prag können keine Überflutungen kommen, seitdem man in den Dreissigern und Fünfzigern die Staudämmekaskade gebaut hatte". Wegen der Dämme fröre die Moldau im Winter nicht ein, und wegen derselben hätten wir eben keine Überflutungen. So war zumindest der common sence.

Das erklärt auch, warum man vielerorts nicht vorbereitet war, dass das Wasser SO hoch kommen könnte. So in dem Zoo, in manchen Bibliotheken - die des Philosophischen Insituts des Akademie der Wissenschaften ist schwer beschädigt, wie auch deren Archiv auf Troja, einer Insel im Norden Prags. Die anderen Archive, der Militärhistorische Archiv (VHA) oder der des Jüdischen Museums und der Gemeinde, wurden glücklicherweise rechtzeitig gerettet, oder zumindest grösstenteils; die Reste werden eingefroren und dank irgendwelchen sophistizierten Trocknungsmechanismen wieder restauriert. Aber wie es jetzt zu sein scheint, so wurde die Prager U-Bahn zum grösseren Teil überflutet; man hat sie all zu spät abgeschlossen. Das Wasser riss die Wände an zwei Stellen durch. Das Metro funktioniert jetzt nicht, zumindest nicht im Zentrum, und wer schon in Prag war, kann sich vorstellen, welche Katastrophe es bedeutet. Wenn wir Glück haben, wird sie nach Weihnachten wieder in Betrieb genommen; die Schule beginnt jedoch am 1. September wieder, und die Schüler werden jetzt aus den Ferien in die Stadt zurückkehren. Da bereits jetzt die Strassen vollgestopft sind - Viele stiegen auf Autos um - erwartet man in einer Woche einen ziemlichen Verkehrschaos.

Die Häuser selbst konnte man aber nicht so einfach wegtragen wie die Bücher. Die Kleine Seite, das einzige Teil der Altstadt, das vom Wasser betroffen wurde, samt ihren barocken Palästen überschwemmt; die vielen da untergebrachten Botschaften sind zur Zeit verlassen. An der anderen Seite der Moldau, in Josefov, dem ehemaligen Ghetto, kam das Wasser zwar nicht über den Ufer, erreichte aber Keller und Kanäle. Die Synagogen mussten geräumt werden, ebenso das Jüdische Museum und die Gemeinde. Die Pinkas Synagoge, an deren Wänden die Namen der tschechischen Opfer des Holocaust ingraviert stehen, weist Brüche in Wänden auf. Nur ein bisschen besser ist darauf die älteste Synagoge Mitteleuropas, die Altneuschul. Das aufwendig renovierte und in die ehemalige Spanische Synagoge umgezogene Jüdische Museum bleibt zumindest bis 1. Oktober geschlossen. In ganzem Viertel müssen die Keller geräumt werden, und in der Hitze stinken die Müllberge vor den Häusern; die Müllabfuhr kann es gar nicht schaffen, all das geräumte Zeug wegzuholen. (Noch nie habe ich etwas so stinkendes erlebt.) Und hier wird noch nur der Inhalt der Keller geräumt - in dem nördlicher liegenden Karlín mit all seinen kleinen Lebensmittelläden mussten spezielle Einheiten einige Tonen Fleisch und verdorbene Lebensmittel entsorgen.

Und inmitten all diesem, ich hätte es nicht geglaubt, laufen Touristenhorden aus Italien, Amerika und Israel und photographieren, wie die Bewohner ihr Hab und Gut wegschmeissen müssen. Die Touristen, die hier von der Flut überrascht (und mitevakuiert) wurden, sind längst weggereist - diese sind nach der Flut gekommen. Es muss einen unheimlich starken Magen fordern, sich fremdes Unglück anschauen zu fahren.

Es ist dennoch nicht nur Prag - bei Weitem nicht - das betroffen wurde. Ich erzähle hier von Prag, ich bin ja hier, aber ich will auch die Umweltkatastrophen in der chemischen Fabrik Spolana in Neratovice, wo Chlor und Dioxine in die Milieu geraten sind, erwähnen, und die in Lovosice und andererorts. Viele der chemischen Fabriken standen in Nordböhmen, an der Elbe, und wenn auch die Gebäude selbst geschützt werden konnten, es ist fraglich, wieviele der Altlasten ins Wasser geraten sind; diese Tatsachen werden erst nach Monaten deutlich werden.

Es sind auch die Dörfer, wo oft ein Drittel, eine Hälfte der Häuser vernichtet wurde; auf die sich trotz der Freiwilligen keine grosse Aufmerksamkeit richtet - die geht nach Prag, wie auch das grösste Teil der Auslandshilfe. Ebenso verheerende Wirkungen wird das übergeschwemmte Wasser auf die Landwirtschaft gehabt haben; es sind die Felder in der Elbe-Umgebung, die die fruchtbarsten Böhmens sind. Was bleibt nach der Überschwemmung mit dem Chlorwasser?

Die Gedenkstätte Theresienstadt zählt zu den schwer betroffenen Orten. Man hat hier mit keiner so grossen Flut gerechnet, und dann wurde die kleine Festungsstadt sowohl von der Eger (Ohøe) als auch der Elbe in einer Zange eingenommen und wie in einer Schüssel ertränkt. Das Wasser schloss das Städtchen und das untere Teil der Kleinen Festung ein. So wurden die meisten in den letzten Jahren reparierten Denkmale vernichtet; ein Teil der Bibliothek des Archivs und der Expositionen, vor allen denen in der Kleinen Festung. An diesem Wochenende wurde dorthin die Armee geschickt.

Obwohl ich vor Ort bin, ist es alles immer noch kaum zu glauben. Viellicht weil es meine Geburtsstadt ist, und so geht es einem zu nahe: Immer wieder, wenn man tote Fische in den Ästen in Parks sieht, vier Meter hoch, wenn man sich wieder bewusst wird, dass das Metro nicht fährt, die Kleine Seite gesperrt ist und all dies - es ist ein Albtraum. Leider ein wahrer.

Möglicherweise wird es als ein Klischee klingen, aber trotzdem: wir alle sind überrascht, wie sehr die Menschen einander helfen, und wieviele Freiwillige sich für die Reinigungsarbeiten melden. So besteht eigentlich weniger ein Mangel an menschlichen Kräften als an materiellen Hilfe. Und die Hilfe kommt, muss man sagen - rühnenderweise auch von Ländern wie Bangladesh, die gewiss selber Schwierigkeiten haben. Und der berühmte tschechische Sinn für Humor setzt sich durch. Schon kommen die ersten Flutwitze: "Das Reisebüro AQUA lädt ein: Besuchen Sie unsere Flüsse bevor sie Sie selbst besuchen!"
Und mit Humor ist alles halb so schlimm.

Anna, im August 2002


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