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Unesco-Dekade

Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) in der Schule (BLK-Modellprogramme „21“ und „Transfer 21“)

Gliederung dieser Seite

Das Modellprogramm „Bildung für eine nachhaltige Entwicklung“ (Kurztitel: BLK-Programm „21“) sowie das Nachfolgeprogramm „Transfer 21“ sind die bisher umfangreichsten Aktivitäten zur Integration der BNE in das deutsche Schulsystem.

Das BLK-Programm „21“ wurde im Zeitraum vom 1.8.1999 bis zum 31.7.2004 realisiert. In dem durch die Bundesregierung sowie 15 Bundesländer (das Saarland ist erst 2002 hinzugekommen, Thüringen ist ausgeschieden, Sachsen hat sich nicht beteiligt) getragenen und (inklusive Transfer) mit insgesamt 23 Millionen Euro ausgestatteten Programm haben knapp 200 Modellschulen damit experimentiert, den Anspruch einer Bildung für nachhaltige Entwicklung umzusetzen.

Das in den Jahren 2004-2008 laufende Programm „Transfer 21“ diente einer breiten Implementierung; 2586 Schulen beteiligten sich.

Programmträger war die Freie Universität Berlin mit dem Institut für erziehungswissenschaftliche Zukunftsforschung. Die Projektleitung lag bei Prof. Dr. Gerhard de Haan. Programmkoordinator war Eberhard Welz von der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport des Landes Berlin. (BLK 1998; de Haan/Harenberg 1999, BLK 2005, Bundesministerium für Bildung und Forschung 2009)

Ausgangsüberlegungen

Die Agenda 21 als politisches Dokument eignet sich nicht als Lehrmaterial; auch die Strategie, Lehreinheiten zu den einzelnen Kapiteln der Agenda 21 zu produzieren, würde der Herausforderung der Nachhaltigkeit nicht ausreichend gerecht werden. Zur Begründung des BLK-Modellprogramms „21“ holen de Haan/Harenberg (1999) daher weiter aus.

Sie sehen Nachhaltigkeit als Modernisierungsszenario an, das die Bedrohungsszenarien der Umweltdebatte überwindet (ebd., S. 18). Sie verweisen nicht nur auf die Grundgedanken der Nachhaltigkeitsidee, sondern betonen:

Ziele

Bildungspolitisches Ziel: Integration von BNE in die schulische Regelpraxis; Übergeordnetes Lernziel: Gestaltungskompetenz

Vor diesen Hintergründen wollten die Modellprogramme die Integration der Bildung für nachhaltige Entwicklung in die schulische Regelpraxis befördern. Dabei wurde keine Erziehung zu nachhaltigem Verhalten angestrebt, vielmehr sollten die Lernenden zu eigenständigen Urteilen und zu innovativem Handeln im Sinne der Nachhaltigkeit befähigt werden. Als übergeordnetes Lernziel postulierten de Haan/Harenberg (1999, S. 60) die „Gestaltungskompetenz für nachhaltige Entwicklung ... Mit Gestaltungskompetenz wird das nach vorne weisende Vermögen bezeichnet, die Zukunft von Sozietäten, in denen man lebt, in aktiver Teilhabe im Sinne nachhaltiger Entwicklung modifizieren und modellieren zu können.“

Dieses Konzept der Gestaltungskompetenzen hat in Deutschland eine große Verbreitung gefunden, es wird (bis hin zu den BNE-Berichten der Bundesregierung) vielfach zitiert, und viele Bildungsprojekte nehmen darauf Bezug – daher soll es auch hier vorgestellt werden. Andererseits gilt es jedoch, eine rezepthafte Übernahme des Konzepts sowie didaktische Monokulturen zu vermeiden – daher werden auch Brüche thematisiert und Alternativen skizziert.

Exkurs: Der Kompetenzbegriff

Kompetenzen sind „die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können“ (Weinert 2001, S.27).

Rychen (2008, S. 16) weist darauf hin, dass der Kompetenzbegriff auf einem holistischen Verständnis beruhe, „nämlich dass Kognition und Emotion verbunden sind...“ und dass dies „im Übrigen auch durch neurowissenschaftliche Erkenntnisse untermauert“ werde.

Rieckmann (2010, S. 46) betont, dass Kompetenzen Handlungsdispositionen beschreiben, was nicht mit der Performance oder Handlungsausführung gleichgesetzt werden dürfe. „Kompetenzen sind entwicklungsfähig und damit erlernbar.“ (Rieckmann 2010, S. 50, unter Bezug auf Rychen 2001)

„Kompetenzen werden durch Handeln und Interaktion in formalen und informellen Bildungskontexten entwickelt.“ So formuliert es Rychen (2008, S. 21) und stellt damit einen auch für die BNE hilfreichen Wegweiser auf. Tschekan (2011) befasst sich mit der Frage, wie Kompetenzen im Schulunterricht gefördert werden können.

Im deutschsprachigen Raum (und insbesondere in der Berufsbildung) werden folgende Klassen von Kompetenzen unterschieden:

  • personale,
  • aktivitäts- und umsetzungsorientierte,
  • fachlich-methodische und
  • sozial-kommunikative Kompetenzen (Rieckmann 2010, S. 49-50).

Die Bildungsstandards der Kultusministerkonferenz für die naturwissenschaftlichen Fächer in Deutschland (mittlerer Schulabschluss) umfassen die Kompetenzbereiche Fachwissen, Erkenntnisgewinnung, Kommunikation und Bewertung (Kultusministerkonferenz 2005 a, b, c).

In einer bereits 1993 dokumentierten Studie wurden umfängliche Quellen ausgewertet und dabei 654 „Schlüsselqualifikationen“ identifiziert. Zu den 20 am häufigsten genannten zählten „Kommunikationsfähigkeit, Kooperationsfähigkeit, Denken in Zusammenhängen, Flexibilität, Kreativität, Selbständigkeit, Problemlösefähigkeit, … Verantwortungsgefühl und -bewusstsein, … abstraktes Denken, logisches Denken und selbständiges Lernen.“ (Didy et. al. 1993)

 

Gestaltungskompetenz und ihre Teilkompetenzen

Die Vorstellung davon, was Gestaltungskompetenz – also das zentrale Lernziel der BNE – sei, wurde erst während der Laufzeit der Programme ausdifferenziert. In ihrem Gutachten zum Modellprogramm führen de Haan/Harenberg (1999, S. 57ff) sechs didaktische Prinzipien an, die sich aus dem Leitbild der nachhaltigen Entwicklung ergeben und denen jeweils mehrere Schlüsselqualifikationen zugeordnet werden können. In späteren Veröffentlichung werden sieben „Teilkompetenzen“ der Gestaltungskompetenz angeführt, noch später werden diese dann auf zehn bzw. zwölf erweitert (de Haan 2008, de Haan et.al 2008, Freie Universität Berlin 2007 und o.J.), vgl. auch Tabelle weiter unten.

Diese mehrfache Modifikation weist bereits darauf hin, dass das Konzept der Gestaltungskompetenz – wie auch andere pädagogische Konzepte – nur als ein vorläufiges und auch hinterfragbares Konstrukt betrachtet werden kann. Wer dieses für die eigene Arbeit übernehmen möchte, sollte selbstverständlich auch prüfen, inwieweit es sich für die eigenen Ziele, Zielgruppen und Rahmenbedingungen eignet, bzw. welche Alternativen es gibt.

In diesem Zusammenhang ist auf die Arbeit von Rieckmann (2010) hinzuweisen. In einer international angelegten Delphi-Studie hat er in Zusammenarbeit mit Bildungsexperten aus Europa und Südamerika ein Set von „Schlüsselkompetenzen“ für die BNE entwickelt, das – regional unterschiedliche Schwerpunktsetzungen eingeschlossen – international anwendbar sein soll. Dabei legt er die Genese offen, er stellt insbesondere dar, auf welchen Weltsichten (Weltprobleme, Verständnis einer nachhaltigen Entwicklung, Wege zu bzw. Voraussetzungen und Rahmenbedingungen für eine nachhaltige Entwicklung, Ziele der BNE) die Schlüsselkompetenzen beruhen. Das so entstandene Set umfasst 12 Schlüsselkompetenzen; teilweise sind diese den Teilkompetenzen der Gestaltungskompetenz identisch bzw. ähnlich, es gibt aber auch eine ganze Reihe von Unterschieden, die Rieckmann (2010, S.163-180) ausführlich diskutiert. Hier nur ein Beispiel: Kompetenzen beinhalten immer auch motivationale Aspekte, daher hält Rieckmann (2010, S. 168) es für unsinnig, die „Kompetenz zur Motivation“ als eigene Kategorie zu führen.

Tabelle: Kompetenzkonzepte für die BNE (nach Rieckmann, 2010, S. 166 und 172)*
Gestaltungskompetenz (de Haan et. al 2008: 183-195) In der Delphi-Studie identifizierte Schlüsselkompetenzen
Kompetenz zur Perspektivübernahme Kompetenz zu Empathie und Perspektivenwechsel
Kompetenz zur Antizipation Kompetenz zum vorausschauenden Denken
Kompetenz zur disziplinenübergreifenden Erkenntnisgewinnung Kompetenz zum interdisziplinären Arbeiten
Kompetenz zum Umgang mit unvollständigen und überkomplexen Informationen Kompetenz zum vernetzten Denken und Umgang mit Komplexität
Kompetenz zur Kooperation Kompetenz zur Zusammenarbeit in (heterogenen) Gruppen
Kompetenz zur Bewältigung individueller Entscheidungsdilemmata Bewertungskompetenz
Kompetenz zur Partizipation Partizipationskompetenz
Kompetenz zur Motivation Kompetenz zur Ambiguitäts- und Frustrationstoleranz
Kompetenz zur Reflexion auf Leitbilder Kompetenz zum kritischen Denken
Kompetenz zum moralischen Handeln Kompetenz zum gerechten und umweltverträglichen Handeln
Kompetenz zum eigenständigen Handeln Kompetenz zur Planung und Umsetzung innovativer Projekten und Vorhaben
Kompetenz zur Unterstützung anderer Kompetenz zu Empathie und Perspektivenwechsel
*Im Original (Rieckmann, 2010, S. 166) enthält die Tabelle noch eine erste Spalte mit den DeSeCo-Schlüsselkompetenzen, diese wurde hier weggelassen. Die Schlüsselkompetenzen sind in der Formulierung von Rieckmann, 2010, S. 172 wiedergegeben.


Sowohl de Haan (2008) als auch Rieckmann (2010) verweisen darauf, dass ihre Kompetenzsets enge Beziehungen zu den Schlüsselkompetenzen der OECD (bzw. DeSeCo) haben. Das halte ich allerdings für konstruiert, weshalb diese Schlüsselkompetenzen nachfolgend separat als Exkurs vorgestellt werden.

Exkurs: Das Kompetenzmodell der OECD

Die OECD hat ein System von Schlüsselkompetenzen vorgelegt, welche Menschen benötigen, um sich in der heutigen, von Herausforderungen wie Globalisierung, Modernisierung und Vernetzung geprägten Welt zurechtzufinden. Es enthält neun Kompetenzen, die insgesamt drei Kategorien zugeordnet werden. (OECD 2005, Rychen 2008)

Kompetenzkategorie 1: Interaktive Anwendung von Medien und Mitteln (Tools)

  • Fähigkeit zur interaktiven Anwendung von Sprache, Symbolen und Text
  • Fähigkeit zur interaktiven Nutzung von Wissen und Informationen
  • Fähigkeit zur interaktiven Anwendung von Technologien

Kompetenzkategorie 2: Interagieren in heterogenen Gruppen

  • Fähigkeit, gute und tragfähige Beziehungen zu anderen Menschen zu unterhalten
  • Kooperationsfähigkeit
  • Fähigkeit zur Bewältigung und Lösung von Konflikten

Kompetenzkategorie 3: Eigenständiges Handeln

  • Fähigkeit zum Handeln im größeren Kontext
  • Fähigkeit, Lebenspläne und persönliche Projekte zu gestalten und zu realisieren
  • Fähigkeit zur Wahrnehmung von Rechten, Interessen, Grenzen und Bedürfnissen


Es sei betont, dass mit der Aufstellung von Kompetenzen noch nichts darüber gesagt ist, wie diese erworben werden können, bzw. wie der Kompetenzerwerb pädagogisch unterstützt werden kann. Das heißt, wenn Sie eigene Bildungsprojekte entwerfen, dann ersetzt die Bezugnahme auf vorliegende Sets von Kompetenzen keinesfalls die notwendige lerntheoretische Fundierung.

Hoher Anspruch

Im Vergleich zu einschlägigen Befunden über die Beziehungen von Jugendlichen zu Natur, Umwelt und Nachhaltigkeit (vgl. folgender Exkurs) erscheinen die BNE-Gestaltungskompetenzen außerordentlich anspruchsvoll.

Exkurs: Natur obskur

Verschiedene soziologische Untersuchungen befassen sich mit dem Verhältnis des Menschen zur Umwelt. So lassen das BMU und das UBA seit 1991 regelmäßig eine repräsentative Umfrage zum Umweltbewusstsein durchführen; auch z.B. in der Shell-Jugendstudie spielen derartige Aspekte immer wieder eine Rolle.

Brämer (2006 a und b) hat für seinen Jugendreport Natur ´06 ca. 2200 Jugendliche der Klassen 6 bis 9 überwiegend in Nordrhein-Westfalen befragt und kommt u.a. zu folgenden (überwiegend) ernüchternden Ergebnissen:

Das Zeitbudget der Jugendlichen ist von der Clique und den Medien bestimmt. Unternehmungen in der Natur werden seltener, obwohl noch immer 61% der Jugendlichen den nächsten Wald innerhalb von fünf Fußminuten erreichen können.

Naturnutzung und Naturschutz sind für die Jugendlichen zwei weitgehend getrennte Welten. Auf der einen Seite haben viele Jugendliche ein fast ehrfürchtiges Verhältnis zu einer romantisch verklärten Natur, auf der anderen Seite scheint ihnen der Gedanke an eine verantwortungsvolle Nutzung der Natur zunehmend zu entgleiten.

Sie beurteilen die produktive Nutzung der Natur außerordentlich kritisch, so z.B. das Fällen von Bäumen und das Jagen von Rehen. Natürliche Rohstoffe für alltägliche Produkte sind wenig bekannt; Ausnahmen bilden einige Küchenprodukte, die gut schmecken und lokal produziert werden (können), so z.B. Sahne oder Pudding.

Damit ist auch grundlegend das Verständnis für Nachhaltigkeit vermauert, bei der es ja ganz zentral auch um das „Wie“ der Naturnutzung geht. Den meisten Jugendlichen fällt nichts zur Thema Nachhaltigkeit ein; bei Multiple-Choice-Fragen zu einzelnen Aspekten der Nachhaltigkeit „lagen die meisten Antwortquoten im Bereich der Ratewahrscheinlichkeit.“

„Nach wie vor ersetzt eine ausgeprägte Sauberkeitsästhetik und bambihafte Verniedlichung der Natur (Tiere nicht stören, Pflanzen nicht beschädigen) ein profundes Nachhaltigkeitsbewusstsein.“

Ermutigende Anzeichen sieht Brämer (ebd.) dort, wo Jugendliche regelmäßig den Wald besuchen, und zwar insbesondere auch abseits pädagogischer Betreuung.


Unterrichts- und Organisationsprinzipien

Zur Vermittlung der Gestaltungskompetenzen im Schulwesen schlugen de Haan/Harenberg (1999, S. 59ff) drei einander ergänzende Unterrichts- und Organisationsprinzipien vor. Diese bildeten zugleich als Module die inhaltliche Struktur des BLK-Modellprogramms „21“. Jedes dieser Unterrichts- und Organisationsprinzipien wurde durch mehrere einzelne Aspekte unterlegt. In der Struktur des BLK-Modellprogramms „21“ bildeten diese Aspekte die Themen für sogenannte „Sets“, in denen Schulen gemeinsam arbeiteten:

Interdisziplinäres Wissen

Das Prinzip „Interdisziplinäres Wissen“ knüpfte an die Notwendigkeit „vernetztes Denken", an das Schlüsselprinzip der Retinität (der Vernetzung von Natur und Kulturwelt) sowie der Entwicklung von Problemlösungskompetenzen an. Ziel war u.a. die Verankerung entsprechender Inhalte und Arbeitsformen in den Curricula der Länder sowie in den Programmen der einzelnen Schulen.

Im BLK-Modellprogramm „21“ wurde dieses Prinzip in folgenden Sets umgesetzt:

Partizipatives Lernen

Das Prinzip „Partizipatives Lernen“ griff die zentrale Forderung der Agenda 21 nach Teilhabe aller gesellschaftlichen Gruppen am Prozess der nachhaltigen Entwicklung auf und verwies auf eine lebenslange Förderung lerntechnischer und -methodischer Kompetenzen.

Im BLK-Modellprogramm „21“ wurde dieses Prinzip in folgenden Sets umgesetzt:

Innovative Strukturen

Beim Prinzip „Innovative Strukturen“ wurd davon ausgegangen, dass die Schule als Ganzheit bildungswirksam ist, und es wurden Parallelen zu aktuellen schulischen Reformfeldern thematisiert.

Im BLK-Modellprogramm „21“ wurde dieses Prinzip in folgenden Sets umgesetzt:

Die Modellprogramme, die explizite mit dem Anspruch der Innovation angetreten waren (de Haan/Harenberg 1999, S. 34, 35), greifen somit stark auf bereits vorher entwickelte Ansätze zurück. Ihnen kommt jedoch der Verdienst zu, diese Ansätze wertgeschätzt und den beteiligten Schulen Freiräume zur Weiterentwicklung bzw. Implementation eröffnet zu haben. Zudem wurde mit den drei Prinzipien der Blick darauf gerichtet, dass das deutsche Bildungssystem grundlegende inhaltliche, methodische und organisatorische Veränderungen benötigt.

Organisation der Modellprogramme

Die BLK-Modellprogramme „21“ wurde in Kooperation von Bund und Ländern umgesetzt. Dabei konnten die Länder entscheiden, welche der oben angeführten Aspekte sie an welchen Standorten umsetzen wollten. Somit entstanden „Sets“, d.h. Zusammenschlüsse von Schulen die aufgrund ihrer inhaltlichen und räumlichen Nähe (gleicher Aspekt, gleicher Standort) ihre BNE-Arbeit parallel entwickeln und sich dabei austauschen bzw. miteinander kooperieren konnten.

Im Modellprogramm „21“ wurden 28 Sets realisiert (BLK 2005). In jedem Set wurden zunächst die Arbeitsstrukturen geschaffen und Schulen gewonnen. Die Schulen haben dann ihre Aspekte erprobt und ihre Arbeit schrittweise weiterentwickelt. Schließlich wurden Projektergebnisse, Handreichungen und andere verallgemeinerungsfähige Erkenntnisse publiziert.

Mit dem nachfolgenden BLK-Modellprogramm „Transfer 21“ sollte im Zeitraum 2004-2008 der Transfer in die Breite realisiert werden. Es wurden neue Schulen einbezogen, Multiplikatoren ausgebildet, weitere Materialien publiziert, etc. (Programm Transfer-21 o.J.).

Ergebnisse und Diskussion

Die Modellprogramme haben den beteiligten Schulen die Möglichkeit gegeben, zu experimentieren, sich weiter zu entwickeln und viele konkrete und beispielhafte Aktionen zu realisieren. Die Schulen haben eine große Vielfalt an Ideen, Konzepten und Erfahrungen produziert. Hier auf umweltschulen.de finden Sie - exemplarisch dafür - umfangreiches Material zum Nachaltigkeitsaudit. Einen Überblick zu den Veröffentlichungen bietet die Projekthomepage www.transfer-21.de.

Evaluation des BLK-Programms „21“

Das Programm wurde auf vier Ebenen evaluiert (BLK 2005, S. 11-12):

Die Ergebnisse wurden in Abschlussberichten publiziert (BLK 2005, Programm Transfer-21 o.J.). Einige Aspekte sollen nachfolgend vorgestellt werden.

Verankerung von BNE in der schulischen Regelpraxis

Die im Rahmen des Modellprogramms „21“ erreichte Verankerung der BNE in den Schulen wird im Abschlussbericht als generell sehr erfolgreich eingeschätzt (BLK 2005, S. 13-21; die dazu gehörende Datenbasis wurde von Rode 2005, S. 58ff veröffentlicht). Unter anderem wird hervorgehoben:

Transfer in die Breite

Im Modellprogramm „Transfer 21“ wurde eine Expansion auf 10% der Schulen in den beteiligten Ländern sowie die Ausweitung auf Grundschulen und Ganztagsschulen angestrebt. Mit 2586 Schulen (12,1%) konnte das quantitative Ziel übererfüllt werden. Allerdings widmeten sich die Schulen der BNE in sehr unterschiedlicher Tiefe, daher wurde zwischen Kernschulen (238 Schulen), Kooperationsschulen (1421) und Kontaktschulen (927) unterschieden. (Programm Transfer-21 o.J., S. 45)

Gestaltungskompetenz und Teilkompetenzen

Programm "BLK 21": In dem 68 Seiten umfassenden Abschlussbericht (BLK 2005) werden dem zentralen Lernziel des Modellprogramms gerade einmal drei Seiten gewidmet; in der 147 seitigen Abschlussevaluation (Rode 2005) sind es fünf Seiten.

Es wird eingeschätzt, dass sich die „Thematisierung und systematische Förderung von Gestaltungskompetenz bzw. Teilkompetenzen ... insgesamt bewährt“ hat „wenn auch zu Beginn Schwierigkeiten zu überwinden waren“. Hindernisse werden u.a. in einer noch mangelnden Absicherung in Rahmenplänen, Schulgesetzen bzw. Curricula und in der zeitlichen Belastbarkeit der Lehrkräfte gesehen. Zudem wird eingestanden, dass das Konzept innerschulisch kaum evaluierbar ist, da die Operationalisierung noch aussteht (BLK 2005, S. 21-24).

Der Abschlussbericht (ebd.) liefert hierzu kein empirisches Datenmaterial. Aus der Abschlussevaluation (Rode 2005, S. 132-136) geht hervor, dass nicht einmal der Versuch unternommen wurde, den Kompetenzgewinn bei den Schülern zu messen. Statt dessen wurden lediglich subjektive Selbsteinschätzungen der Schüler erhoben. Dabei wurden

abgefragt. Dabei wird z.B. der Grad an Zustimmung zu der Aussage „Ich bin jetzt eher bereit, mein eigenes Verhalten zu ändern (z.B. sparsamer mit Energie und Wasser umzugehen)“ als ein Maß für die Einstellungen zur Nachhaltigkeit genutzt. Analog dazu sollen mit der Zustimmung zu Aussagen wie „Ich kann jetzt komplizierte Zusammenhänge besser verstehen.“ die Zuwächse an Gestaltungskompetenz abgebildet werden. Ungeklärt bleibt dabei u.a., wie realistisch die Selbsteinschätzungen der Schüler sind und auch ob alle Schüler die Fragen auf die gleiche Weise interpretiert haben. Da keine Kontrollgruppen einbezogen wurden, bleibt ferner die Wirkungszurechnung zum Modellprogramm ungeklärt.

Programm "Transfer 21": Im Rahmen von Transfer 21 konzentrierte sich die Evaluation auf den Transfer. Zum Erwerb von Gestaltungskompetenz heißt es im Abschlussbericht: „Da in den Ländern zu diesem Punkt allgemeine Aussagen formuliert wurden, wird erst die in der Transferforschung erhobene Evaluation zeigen, in welcher Quantität und Qualität Gestaltungskompetenz bei den Schülern realisiert werden konnte...“ (Programm Transfer-21 o.J., S.54).

Die beiden Modellprogramme bleiben damit den Nachweis, ihr zentrales Lernziel erreicht zu haben, weitgehend schuldig.

Mit dieser kritischen Einschätzungen soll keinesfalls die engagierte Arbeit der vielen beteiligten Schulen diskreditiert werden. Die wissenschaftliche Begleitforschung zu organisieren bzw. durchzuführen und damit die Wirksamkeit des Konzepts nachzuweisen, war Aufgabe der Projektstelle in Berlin.

BNE als Innovation?

Die BNE war Ende der 90er Jahre als innovatives Konzept angetreten, das Schwächen der Umweltbildung überwinden wollte. In der Vorbereitung auf das schulbezogene BLK-Modellprogramm „21“ würdigten de Haan/Harenberg (1999, S. 49-53) zwar die Umweltbildung als „Innovationsauslöser“, andererseits führten sie mehrere Kritikpunkte an, die es mit dem Modellprogramm zu überwinden gäbe. Einige davon sollen nachfolgend wieder aufgegriffen werden:

Die Flucht in die Idylle der Natur(ebd.): Dieser Vorwurf war schon damals einseitig – seit Jahrzehnten gibt es in der Umweltbildung immer auch Strömungen, welche sich der Gesellschaft zuwenden, die herrschenden Verhältnisse kritisieren und die Lernenden zur Partizipation befähigen wollten (siehe folgender Exkurs).

Das exotische Flair der Umweltbildung“: Hiermit kritisierten de Haan/Harenberg (ebd.) zu Recht eine schulische Umweltbildung, die auf singuläre Projekte setzt und mit dem sonstigen Schulbetrieb (Schulleben, Zensuren,...) nichts zu tun hat. Heute sind nachhaltigkeits-relevante Themen Bestandteil vieler Rahmenpläne und somit auch im Unterricht verankert (am Beispiel des Klimaschutzes: Langner 2011 und 2011h). Einige Schulen haben auch daran gearbeitet, den ganzen Schulbetrieb nachhaltiger zu gestalten, z.B. im Set Nachhaltigkeitsaudit der BLK-Modellprogramme.

Die Dominanz fachbezogener Lehrkonzepte“: Gemeint war, dass das ganze Bildungssystem der Tradition verpflichtet sei, gesichertes Fachwissen an Schüler weiterzugeben. „Solange „Wissenschaftsorientierung“ ausschließlich als „Fachwissenschaftsorientierung“ verstanden wird, kann Bildung für nachhaltige Entwicklung jedoch nicht ihrem Gegenstand angemessen ausfallen.“ (de Haan/Harenberg ebd., S. 51). Diese Kritik ist auch heute noch weitgehend aktuell. Moderne Lehrpläne weisen zwar auch Themengebiete aus, die Fächer verbindend bearbeitet werden sollen, aber die fachwissenschaftliche Sicht überwiegt weiterhin.

Das Unvermögen, starre Strukturen und eingefahrene Lehrmethoden zu lockern“: BNE, so de Haan/Harenberg (ebd., S. 51) sei „Teil eines radikalen strukturellen Wandels der Gesellschaft“, welcher auch Organisationen zum Lernen zwinge und andere Formen des Lehrens und Lernens erfordere. Es ist ein Verdienst der BLK-Modellprogramme, dass in dieser Hinsicht vielfältige Methoden und Projekte ausprobiert und auf der Projekthomepage publiziert wurden.

Die unzureichende wissenschaftliche Begleitforschung“: Dieser Kritikpunkt war berechtigt; allerdings hat auch die wissenschaftliche Begleitforschung zu den BLK-Modellprogrammen ganz erhebliche blinde Flecken, da sie das übergeordnete Lernziel „Gestaltungskompetenz“ weitgehend ausklammert. Dabei wäre es für die Entwicklung der BNE dienlich gewesen, empirisch fundierte Antworten zu folgenden Fragen zu erhalten:

Die stückwerkhafte Umweltbewußtseinsforschung“: Das Umweltbewusstsein der Deutschen ist in den vergangenen Jahren mehrfach und gründlich untersucht worden (vgl. www.umweltbewusstsein.de). Das geht bis dahin, dass milieuspezifischen Umwelteinstellungen erforscht und daraus Schlussfolgerungen für die Umweltkommunikation abgeleitet wurden (Wippermann et. al 2009). Es liegt nun an den Bildungsakteuren, diese Erkenntnisse aufzugreifen.

Es lässt sich zusammenfassen, dass diese mit der Einführung des BNE-Begriffs und mit den BLK-Modellprogrammen geweckten Hoffnungen bislang teilweise erfüllt sind.

Exkurs: Umweltbildung – ein Blick zurück

Eine problem- und handlungsorientierte Umwelterziehung sollte nach Bolscho, Eulefeld, Seybold (1980, S. 17f) „Schülern die Auseinandersetzung mit ihrer natürlichen, sozialen und gebauten Umwelt erschließen... die Fähigkeit zum Problemlösen in komplexen Systemen fördern...“ und „Schüler für die Beteiligung am politischen Leben... befähigen.“

Michelsen et.al. (1986) setzten sich mit damals populären didaktischen Kriterien ökologisch orientierter Bildung auseinander, diese waren: Zukunftsorientierung, Lernen aus Betroffenheit, Lernen aus Erfahrung, reflexives Lernen, ganzheitliches Lernen, vernetztes (interdisziplinäres) Denken sowie Handlungsorientierung. Sie wiesen darauf hin, dass diese Kriterien durchaus ihre blinden Flecken haben, die es zu überwinden gelte. So fragt die Zukunftsorientierung (antizipatives Lernen) nach wünschenswerten oder wahrscheinlichen Zukünften und versucht, daraus heute erforderliche Schritte abzuleiten – dies bedürfe aber durchaus des ergänzenden geschichtlichen Blicks auf die Ursachen der aktuellen Umweltprobleme. Sie würdigten das Lernen aus Erfahrung – gleichzeitig wiesen sie darauf hin, dass einige schwerwiegende Umweltprobleme nicht sinnlich erfahrbar sondern nur aufgrund erheblicher Abstraktionsleistungen nachvollziehbar seien, dass also die Erfahrungs- durch eine Wissenschaftsorientierung komplementiert werden müsse.

Buddensiek (1991) suchte Wege zur Öko-Schule und legte dafür ein umfassendes Gedankengebäude vor. Gesellschaftliche Ausgangsbedingungen sah er insbesondere in der Notwendigkeit einer ökonomisch-ökologischen Wende und in der „Risikogesellschaft“ (Beck 1986). Zu den Zielen der Umwelterziehung rechnete er, die Lebensgrundlagen und deren Vernetztheit kennen sowie ökologisch handeln zu können und zu wollen. Es entwickelte einen ökologischen Problemrahmen, arbeitete Segmente (Themen/Aspekte) für die Umwelterziehung heraus und begründete deren Auswahl. Er entwickelte modellhaft „ökologische Lernwege“. Buddensiek setzte sich sehr kritisch mit dem Schulsystem auseinander, was in der Aussage gipfelte: „Solange die Schule sich nicht auf ihre Gesamtverantwortung für die Persönlichkeitsentwicklung der Lernenden … besinnt, wäre es besser, die Finger von der Umwelterziehung zu lassen.“ (ebd., S. 134) Der erforderliche ökologische Umbau von Schule berühre u.a. die Schulorganisation, die Pädagogik und die Öffnung der Schule. Buddensiek zeigte, wie Schulen ein Netz von Lernorten aufbauen können, um ihren Schülern über deren Schullaufbahn hinweg Lernpfade für ökologisches und soziales Lernen zu bieten. Er stellte die Schulen von Tvind (Dänemark) vor, die bereits in den 70er Jahren eine Großwindanlage errichtet und damit ein Zeichen für die Energiewende gesetzt haben. Der Lehrerpersönlichkeit sowie der Lehrerbildung widmete ein eigenes Kapitel. Die einzelnen Diskussionsstränge führte er schließlich zu einer Skizze der idealtypischen Schule „Ökotopia“ zusammen.

 

 

Der Arbeitsbereich "Agenda 21 und Bildung für nachhaltige Entwicklung" auf umweltschulen.de entstand in Kooperation mit dem Fernstudiengang Umwelt&Bildung der Universität Rostock.