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Naturerfahrung durch Multimedia?

Zum Diskutieren im Netz

Erfahrungen aus einem Online-Seminar zur Umweltbildung

von Gertrud Wolf

Vom 18. bis zum 29. Oktober 1999 fand in Frankfurt ein zweiwöchiges Seminar zur Umweltbildung statt. Eingeladen hierzu hatte die Clearingstelle Umwelbildung, die beim Deutschen Institut für Erwachsenenbildung angesiedelt ist. Erhält man normalerweise die Einladung zu einem solchen Seminar, wird man vorher sehr sorgfältig abwägen müssen, ob die Teilnahme den Zeitaufwand und die Unkosten rechtfertigt. In diesem Fall waren solche Überlegungen aber nicht nötig, denn das Seminar fand gar nicht in Frankfurt statt, sondern in Cyberfurt: Keine Fahrtkosten, keine Hotelzimmerreservierung - aber auch keine Verpflichtung zum Mitmachen. Stattdessen: ein PC, ein Modem, Telefonkosten - und die Möglichkeit, auch dann noch einen Diskussionsbeitrag in die Runde zu werfen, wenn die anderen schon von elektrischen Schafen träumen.

Wenn der Monitor zum Seminarraum wird, müssen entsprechende Strukturen vorgegeben werden, die den Kommunikationsprozess ordnen. In diesem Fall war der Bildschirm zweigeteilt: Das linke Fenster präsentierte die Struktur der Diskussion mit Thema und Autor in ihrer Beziehung zueinander. Im rechten Fenster erschienen die Texte der Beiträge, sobald sie im Strukturgerüst angeklickt wurden. Neue Beiträge konnten sich auf alte (angeklickte) beziehen und wurden dann entsprechend in das Gerüst einsortiert oder einen neuen Hauptbeitrag darstellen. So war es - im Gegensatz zu einer mailingliste, aber auch einer realen Diskussion - jederzeit möglich, die gesamte Diskussion nachzuvollziehen. Auf diese Weise war auch die Einsichtnahme gestattet, welche Beiträge die Diskussion angeregt hatten und welche ohne weitere Resonanz geblieben waren. Denn je stärker sich das Strukturbild verästelte, desto produktiver verlief offensichtlich die Diskussion. Wobei die Resonanz auf einen Beitrag weniger als ein Kriterium für seine sachliche Qualität als vielmehr für seine kommunikative Energie zu werten ist.

Virtuelle Debatten sind anders als face-to-face Diskussionen, und das Abwägen von Vor- und Nachteilen dient besser zur Charakterisierung als zur grundsätzlichen Bewertung im Sinne von "schlechter / besser als ...". Kerres (1998, S. 93) listet für die Telekommunikation u.a. folgende Kritikpunkte auf:

Gewiss, die in der herkömmlichen Kommunikation greifenden Mechanismen sind hier teilweise außer Kraft gesetzt. Nach Watzlawick (1990) ist unter Kommunikation stets mehr zu verstehen, als ein Austausch von sprachlichen Zeichen zwischen Sendern und Empfängern. Neben den nonverbalen Begleiterscheinungen, die in Kommunikationsabläufen mitschwingen, wird von Watzlawick bei der Analyse kommunikativer Abläufe zusätzlich der jeweilige Kontext mitberücksichtigt. Desweiteren sind Nachrichten Träger von Inhalts- und Beziehungsaspekten: "Wenn man untersucht, was jede Mitteilung enthält, so erweist sich ihr Inhalt vor allem als Information. Dabei ist es gleichgültig, ob diese Information wahr oder falsch, gültig oder ungültig oder unentscheidbar ist. Gleichzeitig aber enthält jede Mitteilung einen weiteren Aspekt, der viel weniger augenfällig, doch ebenso wichtig ist - nämlich einen Hinweis darauf, wie ihr Sender sie vom Empfänger verstanden haben möchte. Sie definiert also, wie der Sender die Beziehung zwischen sich und dem Empfänger sieht, und ist in diesem Sinne seine persönliche Stellungnahme zum anderen. Wir finden somit in jeder Kommunikation einen Inhalts- und einen Beziehungsaspekt" (Watzlawick 1990, S. 53). Die Beziehungsseite wurde von Schulz von Thun (1992) weiter differenziert in einen Bereich, in dem der Sender etwas über seine eigene Befindlichkeit mitteilt ("Selbstoffenbarung") einen, der ausdrückt, wie der Sender zum Empfänger steht ("Beziehung") sowie einen Aufforderungsteil ("Appell"). Ganz gleich aber in wieviele Fragmente der Beziehungsaspekt seziert wird, er bestimmt wesentlich mit, wie die Kommunikation verläuft und was vom eigentlichen Inhalt überhaupt beim Empfänger ankommt. Bei der Telekommunikation besteht nun die Gefahr, dass der Inhaltsaspekt der Nachricht sehr stark von den anderen Botschaften abgekoppelt wird - dass die Diskussion damit per se sachlicher verlaufen würde, ist allerdings ein Trugschluß. In der Tat erweist sich die Vernachlässigung der Beziehungsaspekte nämlich als nachteilig, weil z.B. die Gruppendynamik viel schlechter in Gang kommt. Während eine reale Gruppe es kaum aushalten würde, wenn eine Stunde oder gar einen Tag lang nicht gesprochen würde, stellt sich das virtuelle Sitzfleisch als ausgesprochen hartnäckig dar - bis hin zur Destruktivität. Es gibt mailinglisten, die bei wachsenden Teilnehmerzahlen jahrelang existieren, ohne dass auch nur eine einzige e-mail verschickt würde, die über den Befehl "subscribe" hinausginge. Das mag v.a. daran liegen, dass der Aufbau einer ,funktionierenden' sozialen Gruppe und das Knüpfen persönlicher Beziehungen zwischen Lernenden untereinander sowie zu den Lehrenden im Teleforum erschwert ist (vgl. Kerres 1998). Im online-Seminar zur Umweltbildung wurde diesen Hemnissen auf mehrfache Weise entgegengewirkt: Gleich zu Anfang wurde die Du-Form festgelegt, was eine gewisse Vertrautheit mit den anderen Teilnehmenden suggerierte. Eine TeilnehmerInnenliste gewährte einige Informationen zu den Personen; sofern Fotos vorhanden waren, konnte man sich sogar ein Bild von dem virtuellen Gegenüber machen. Als besonders fruchtbar für die virtuelle Gruppendynamik erwies sich m.M. nach ein zweistündiger Chat, der etwa in der Mitte des Seminars stattfand. Ursprünglich sollte er als Lehr-Chat dienen und via learning-by-doing demonstrieren, wie ein Chat funktioniert. Dadurch gewann er rasch spielerischen Charakter: die Chatter hatten Spaß daran, die neue Kommunikationsplattform auszuprobieren; der Ton wurde lockerer; persönliche Informationen wurden ausgetauscht. Die Mitteilung etwa, dass jemand sich verabschiedet, weil er seinen Besuch vom Bahnhof abholen müsse, läßt ihn als fürsorglichen Mitmenschen erscheinen. Die virtuellen Gesprächspartner gewinnen dadurch an sozialen Konturen. Der Chat hatte demnach die Funktion einer Kaffeepause erfüllt.

Wenn auch die Kritikpunkte, die sich aus dem Vergleich zwischen virtueller und face-to-face Kommunikation ergeben, bei der Gestaltung von und der  Erwartung an online-Seminare ernstzunehmen sind, so darf doch ein Gesichtspunkt nicht außer acht gelassen werden: Selbstverständlich werden auch in den schriftlichen Mitteilungen noch para- und nonverbale Merkmale transportiert, die durch unterschiedliche Schreibstile lenkbar, d.h. auch verstärkbar sind. Blickt man auf die Geschichte schriftlicher Kommunikation zurück, so ist ihre kulturelle Funktion überdies unübersehbar. Im Zeitalter der informativen Mobilmachung erscheint es - bei aller Kritik - angebracht, sich auf diese Funktionsfähigkeit zurückzubesinnen.

Nun, wie können solche online-Seminare der Umweltbildung nutzen?

UmweltbildnerInnen sind über die ganze Republik verstreut. Um inhaltliche Diskussionen auszutragen und geeignete Kooperationspartner zu finden, bedarf es mithin geeigneter Plattformen. Bei online-Diskussionen entfallen teure Anfahrts- und Aufenthaltskosten; neben den zu erwartenden Einsparungen für den CO2-Verbrauch sind v.a. die Entlastungen für das private Budget als positiv zu werten, basiert doch ein Großteil der praktischen Umweltbildungsarbeit auf dem privaten Engagement von einzelnen Personen. Zur Kontaktaufnahme erscheint das online-Seminar weitaus geeigneter als eine mailingliste, deren TeilnehmerInnen wesentlich anonymer sind.

Die inhaltliche Debatte, auf die hier wenig eingegangen wurde, die jedoch unter u.g. Internetadresse abrufbar ist, hat wie jede andere reale Diskussion ihre Auswirkungen auf die inhaltliche Ausrichtung der Umweltbildung. Die Schriftform, in der sie ausgeführt wurde, kann sich langfristig sogar als sehr effektvoll erweisen. Es sollte jedoch noch über geeignete Formen der Fixierung und damit der Nachvollziehbarkeit für andere nachgedacht werden. Mit der Möglichkeit des Rückgriffes auf die Diskussionsinhalte würde deren Verwertbarkeit auf breiter Ebene ansteigen, was einer Eiffizienzsteigerung gleichkäme.

Obwohl der zeitliche Aufwand bei regelmäßiger Teilnahme an einem online-Seminar nicht zu unterschätzen ist, so ist er doch geringer, als wenn ein externer Tagungsort besucht werden muß. Die Integration eines solchen Seminars in den Arbeits- und den Familienalltag wird stark vereinfacht. TeilnehmerInnen mit Kindern etwa wird hiermit eine praktikable Möglichkeit geboten, an der Umweltbildungsdiskussion aktiv teilzunehmen.

Online-Seminare können überdies persönliche Verbindungen herstellen, deren Wert nicht zu unterschätzen ist und damit positive Effekte auf die Kommunikation im "richtigen" Leben ausüben. Die Wege werden kürzer, wenn man sich etwa auf einer realen Tagung trifft und sagen kann: "Hallo Fritz, kennen wir uns nicht aus dem online-Seminar?"

Literatur

Copyright für diese Seite: Gertrud Wolf