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Unesco-Dekade

Land unter... Hochwasser und Umweltbildung

Die Flüsse tragen auf ihren Armen das Land

Meditation zu 5. Mose, Kap. 22., Verse 6 –7

Nach der Sommerflut an Donau, Mulde und Elbe muss wieder daran erinnert und es gesagt werden: Bei aller verheerenden Zerstörung, tragen die Flüsse auf ihren Armen das Land. Sie modellieren mit Adern und Fingerspitzen die Landschaften. Mitunter ziehen sie auch mit Hammerfäusten und Schlammschuhen gen Meer. Offenkundiger als im Flachland ist dies im Gebirge zu sehen. Höhenzüge trennen, Bäche und Flüsse verbinden. Gebirge wirken als Barrieren, Ströme als Kulturkanäle. Längs von Rhein, Donau und Elbe besiedelten die Menschen Europa. Flussläufe förderten durch Wagenwege, Binnenschifffahrt und als Ferntrassen frühzeitig Industrialisierung, brachten Wohlfahrt. Die Flüsse tragen das Land. Damit die Flüsse das Land weiterhin tragen können, muss den Strömen nach ihren geologischen Anforderungen Raum gelassen werden. Sonst schlagen sie über die Stränge, wie in diesem Sommer. Das kann grausam und katastrophal für den Einzelnen werden. Die harten Schläge sind aber für uns in Mitteleuropa weder unerkennbares und unabwendbares Fatum noch von höherer Gewalt. Die erfahrene Gefährdung wurde von Menschen verursacht, ist handgemacht und maschinengestützt.

Warnungen über mittelbare und unmittelbare Auswirkungen der planmäßigen Zerstörung der Flussauen und ihrer Wälder waren gegeben. Das Wissen über die tatsächlichen Verläufe alter Flußwege und die Areale der Überschwemmungspolder ist vorhanden. Die Alten kannten Regeln. Die Wissenschaft hatte Konzepte. Trotzdem wurden die Flächen verkauft und bebaut. Nicht erst in der jüngsten Zeit. Den Flüssen wurde der Stauraum der Auen genommen. Sie wurden in zu schmale Deichläufe gezwängt. Die Flusssysteme wurden übernutzt. Ihre Fähigkeit tragen zu können, schwand weithin. In dem Maße, wie unsere technischen Möglichkeiten wuchsen, sank unser Respekt vor den Gaben und Gefahren der Flüsse, den Verbindungslinien inmitten der Natur.

Auch die Achtung vor den anderen Trägersystemen der Erde, den Grundlagen unseres Zusammenlebens fiel weiter ab. Achtungsschwund führt zu Artenschwund und Respektlosigkeit. Respektlosigkeit fördert Übermut und Nachlässigkeit, gepaart mit Gewinnsucht wächst daraus Gefahr. Für Grimma und Bitterfeld, wie in Zentralindien und bei den Bauern am chinesischen Jangtsekiang. Dann hat das Schicksal scheinbar leichtes Spiel. Kollektives Vergessen trifft die einzelne Familie in diesem Fall hart.

Zufällig zur Zeit der "Jahrhundertflut" in Mitteldeutschland begann im südafrikanischen Johannesburg der UN-Weltgipfel für Nachhaltige Entwicklung (WSSD). Zehn Jahre nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung (UNCED) 1992 in Rio de Janeiro wurden Bilanzen aufgestellt über die bisher zurückgelegten Meilen und inzwischen schon wieder verworfenen Ziele auf den Wegen nachhaltiger Entwicklungen.

Die Parallelen zwischen dem Hochwasser und diesem Hochamt der UN-Diplomatie sind offensichtlich. Es geht um weltweite Regeln und Konzepte, welche die Tragfähigkeiten unserer weltweiten ökologischen und sozialen Systeme erhalten sollen. Damit nicht alles den Bach runter geht. Zudem: Wasser war auf dem Weltgipfel auch ein wichtiges Thema. Nicht nur zu viel, auch zu wenig Wasser wird für die nächsten Jahrzehnte weltweit prognostiziert. Im Süden wird es vermehrt Wüsten und Konflikte ums knappe Trinkwasser geben; im Norden dafür Überschwemmungen. Eine Hauptursache ist die weltweite Klimaerwärmung auf Grund der CO2-Emissionen. Hier zu viel - da zu wenig, Turbulenzen an vielen Orten. Der Fortschritt von gestern hielt nicht was er für heute und morgen versprach. Neue, nachhaltige Entwicklungsschritte, damit Leben auf Grundlage von Leben weiterhin erstehen kann, wurden in Johannesburg von einer mehrfach zerspaltenen Interessengemeinschaft nur wenige verabredet.

Jenseits von allem politologischen Zeitgeist wurde vor 2500 Jahren auch gefragt, wie erhält man sein Leben in kargen Gegenden und gefährdeten Zeiten? Im 5. Buch Mose, in einer nomadischen Umwelt findet sich folgende Regel: "Wenn Du unterwegs ein Vogelnest findest auf einem Baum oder auf der Erde mit Jungen oder mit Eiern und die Mutter sitze auf den Jungen oder auf den Eiern, so sollst Du nicht die Mutter mit den Jungen nehmen, sondern Du darfst die Jungen nehmen, aber die Mutter sollst Du fliegen lassen, auf dass Dir's wohlgehe und Du lange lebst." Diese Regel ist praktisch, unromantisch, warmherzig und plausibel zugleich. Sie enthält wichtige Punkte einer Definition über Nachhaltigkeit. Auf deinem Weg - Wanderer - wirst du immer wieder auch auf Ressourcen und Gaben stoßen. Wanderer, du wirst dich ihrer bemächtigen können, denn du bist stärker, für eine bemessene schwer überschaubare Zeit. Du darfst die "Früchte" des Nestes nutzen. Dir ist erlaubt dich zu stärken. Aber bedenke: Nutze so, dass die Gabe und die Ressource sich erneuern kann - Eier legen, Junge erbrüten und Früchte austragen. Das letzte Maß deines Handelns ist nicht dein Hunger, schon gar nicht deine Gier. Das Maß ist die Erneuerbarkeit des Bestandes von dem du im Moment dich nährst. Denk auch an die, die nach dir folgen auf der verdeckten Schnur der nomadischen Karawanenwege zwischen den Dünen und bis hinter den Horizont. Nutzen ist erlaubt, ja, aber lass die Mütter, die Trägersysteme leben. Erhalte sie, begrenze dich, damit es dir gut geht und du lange lebst auf Erden. Eine Regel zum Maßhalten - für Ertrag und gegen Gewinn. Wo Gewinner sind, trifft man meist auch Verlierer. Nutzung ja, Ausbeutung nein. Solche Regeln sind vor allem in Gegenden von Sinn, in denen es wenig soziale und politische Kontrolle des Stärkeren (des Wanderers, der Menschen) und keinen juristische Schutz der schwachen Menschen (der Vogelmutter, der Natur) gibt. Also in der Wüste aber auch beim Welthandel.

Derartige Bauernregeln finden sich in manchen alten Kulturen. Unsere Regel wurde ein wenig geheiligt, sie ist in die Bibel aufgenommen worden. Diese Regel paßt erstaunlich genau zu jener politischen Definition von Nachhaltigkeit, die sich unter hunderten von Vorschlägen am weitesten durchgesetzt hat. Im Bericht der Brundtland-Kommission von 1987 wird Nachhaltigkeit beschrieben als eine Entwicklung "... die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können."

Die Botschaft ist deutlich: Erhaltet die Trägersysteme, schöpft aus ihnen, meinetwegen auch aus dem Vollen, aber schöpft sie nicht aus. Um uns selbst und unserer Nachkommen Willen.

Martin Luther hat den christlichen Glauben seinerzeit unter anderem beschrieben als das, was Dich trägt und hält. Und Gott als den, dem man dafür danken kann und soll. Nachhaltigkeit als ein Konzept angestrebter Tragfähigkeit in einer tendenziell instabilen Welt hat auch Bezug zu dem, was einen selbst und persönlich trägt und hält.

Sensibilität fürs eigene Gehalten (oder Gestoßen) werden, die Erfahrungen des Glaubens, getragen (oder gefallen) zu sein, kann unser Verständnis für die Pflege von Trägersystemen in der Natur, in der Gesellschaft, selbst in der Wirtschaft schulen. Aus Verständnis könnte Achtung, Respekt und Ehrfurcht wachsen. Ehrfurcht treibt Ideenreichtum voran, entwickelt Courage für notwendige Schritte und macht Mut zum Weniger. Bei aller praktischen Arbeit der Kirchen in der Entwicklungszusammen-arbeit und im Umweltschutz sollte die theologische und spirituelle Herausforderung zwischen "innerer" und "äußerer" Tragfähigkeit bzw. dem "Getragenwerden" gesehen, angenommen und ins Gespräch gebracht werden. Soviel Zeit und soviel Theologie sollte sein. Gerade in einer pluralistischen Gesellschaft, gerade auf dem vermeintlich technischen Feld der Nachhaltigkeit.

Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung von:

Hans-Joachim Döring
30. August 2002, Magdeburg-Pechau
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