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Unesco-Dekade

Beispiel Bützow: Partizipation in der Lokalen Agenda 21

Bützow ist eine Kleinstadt in Mecklenburg. Sie liegt südlich von Rostock und hat heute ca. 7.900 Einwohner. Die Stadt befindet sich in der gleichen Lage wie viele ostdeutsche Kommunen in den Jahren nach der deutsch-deutschen Wiedervereinigung, d.h. Themen wie der Niedergang der alten Wirtschaftsstrukturen, der Kampf um die Ansiedlung neuer Betriebe bei einer zunächst noch als unzureichend empfundenen Infrastrukturausstattung sowie die Abwanderung insbesondere junger und höher qualifizierter Menschen bestimmen die Tagesordnung. Bützow hatte ehemals – als Kreisstadt in der DDR – ca. 10.500 Einwohner (Stroppe 2004), hat also seitdem ein Viertel ihrer Bevölkerung verloren.

Am 29.9.1997 beschloss die Stadtvertretung von Bützow, einen Lokale-Agenda-Prozess zu beginnen. Im Jahr 2000 gab sich die Stadt für ihren Entwicklungsprozess das Leitbild „Jugend- und familienfreundliche Stadt“. (Projektbüro „Meine Stadt – 2010“ 2004, S.2)

"Meine Stadt – 2010"

Die Partizipation von Kindern und Jugendlichen war von Anfang an ein Schwerpunkt der Lokalen Agenda 21 in Bützow. Ausgangspunkt war die Frage, für wen sich denn die Stadt zukunftsfähig entwickeln solle. Die Antwort war eindeutig: für die Menschen, die jetzt jung sind und die auch in Zukunft hier leben möchten bzw. sollten. Hieraus folgte die Idee für das 1997 begonnene Projekt „Meine Stadt – 2010“: Kinder und Jugendliche sollten als Akteure für die Lokale Agenda gewonnen werden. Sie sollten eine Gelegenheit erhalten, ein Bild von der Stadt zu entwerfen, in der sie im Jahr 2010 leben möchten, und sie sollen Freiräume und Möglichkeiten bekommen, um dieses Bild auch in die Praxis umzusetzen. (Projektbüro „Meine Stadt – 2010“ o.J. S.4)

Mit finanzieller Förderung u.a. durch das Umwelt- und Kultusministerium M-V wurde in der Stadtverwaltung ein Projektbüro eingerichtet, welches einzelne Aktivitäten initiiert und bis zum Ende dieses Projekts im Jahr 2004 betreut hat. Hier wurden zwei Mitarbeiterinnen angestellt, hinzu kamen zwei freie Mitarbeiter für die Koordination und Moderation.

Unter diesem Dach wurden für die Partizipation von Kindern und Jugendlichen im Wesentlichen zwei Wege gewählt: die Mitarbeit in Gremien sowie konkrete Einzelprojekte (Alsleben 1999). Für beide Wege sollen nachfolgend einige Beispiele vorgestellt werden.

Arbeitskreis Agenda 21

Ein Arbeitskreis Agenda 21 wurde installiert; Vertreter aus der Stadtverwaltung, der Wirtschaft, aus nichtstaatlichen Organisationen sowie Jugendliche erörterten und koordinierten hier die Lokale Agenda 21 und damit auch die Arbeit des Projekts „Meine Stadt – 2010“. Der Arbeitskreis hat als eine Unterstruktur einen Themenkreis Jugendarbeit eingerichtet.

Jugendrat

Der Jugendrat wurde im Dezember 1997 von der Stadtvertretung Bützow ins Leben gerufen, damals noch unter der Bezeichnung Jugendratsversammlung. Ihm gehörten z.B. im Jahr 1998 23 Jugendliche im Alter von 14-20 Jahren an, die sich freiwillig gemeldet hatten. Die Jugendlichen wurden vom Projektbüro betreut. (Projektbüro „Meine Stadt – 2010“ o.J. S.5)

Der Jugendrat konzentrierte sich anfangs darauf, die Interessen von Kindern und Jugendlichen gegenüber Politik, Verwaltung und Öffentlichkeit zu vertreten. Mit den drei Arbeitsgruppen (Freizeit&Kultur, Schule sowie Umwelt) hatte der Jugendrat 1997 zugleich auch seine thematischen Schwerpunkte festgelegt. Später veränderten sich Selbstverständnis und Arbeitsschwerpunkt; der Jugendrat ist heute überwiegend ein Ort, wo Jugendliche den Freiraum finden, eigene Projektideen umzusetzen.

Der Jugendrat hat Antragsrecht in der Stadtvertretung. Auf Antrag des Jugendrats hat z.B. die Stadtvertretung 1998 einstimmig beschlossen, Schulen finanziell zu belohnen, wenn sie Energie und Wasser einsparen und weniger Abfall produzieren. (ebd. S. 5-6) Die Kopernikus-Schule hat nach ihrem Umweltcheck (siehe unten) über mehrere Jahre hinweg von dieser Regelung profitiert, bis sie – als eine Konsequenz der demografischen Entwicklung – geschlossen wurde.

Der Jugendrat hat ein eigenes Budget, das durch die Stadt und das Deutsche Kinderhilfswerk bereitgestellt wurde (Alsleben 1999), über fünf Jahre hinweg wurde er auch über den Landesjugendplan Mecklenburg-Vorpommern gefördert. Damit kann er eigene Aktivitäten durchführen, er hat z.B. ein Kinder- und Jugendstadtfest sowie mehrfach Jugendrocknächte und Ausstellungen von Schülerarbeiten im Rathaus organisiert.

Kinderversammlung

Seit dem Jahr 2002 wird einmal im Jahr eine Kinderversammlung im Bützower Rathaus durchgeführt. Hierbei steht der Bürgermeister den Kindern Rede und Antwort zu den Fragen der Stadtentwicklung. (Projektbüro „Meine Stadt – 2010“ 2004 S.5-6)

Die direkten praktischen Auswirkungen dieser Kinderversammlungen sind gering – Ideen und Vorschläge, welche die Kinder vorbringen, können z.B. aus finanziellen Gründen oder weil die Stadt dafür nicht zuständig ist, oftmals nicht umgesetzt werden – aber das gegenseitige Verständnis kann gefördert werden, und die Kinder erhalten einen direkten Einblick in die Sachzwänge der Lokalpolitik.

Projektkurs

Im Geschwister-Scholl-Gymnasium wurde – als ein weiteres Strukturelement zur Partizipation von Jugendlichen – Ende 1997 ein Projektkurs zur Lokalen Agenda 21 eröffnet. Hier konnten sich Schüler z.B. in die Erarbeitung eines Indikatorensystems sowie Planungsarbeiten zu einem Entwicklungsprojekt (Wismarsche Straße) einbringen. (ebd. S.6)

Partner

Zudem wurden Vereine, Firmen, andere Kommunen und Landesbehörden als Partner einbezogen.

Indikatorensystem

Der Projektkurs Agenda 21 am Geschwister-Scholl-Gymnasium erarbeitete 1998 einen Vorschlag für ein Indikatorensystem, das den Stand der nachhaltigen Entwicklung in Bützow abbilden sollte. Nach einer Diskussion in dem Arbeitskreis zum Projekt „Meine Stadt – 2010“ wurde dieser der Stadtvertretung vorgelegt und dort einstimmig beschlossen. Die Daten wurden dann von Schülern des Projektkurses erhoben. (Projektbüro „Meine Stadt – 2010“ o.J. S.54-55) Das Indikatorensystem wurde in den folgenden Jahren mehrfach fortgeschrieben, d.h. es wurden erneut Daten erfasst und bei Bedarf Indikatoren verändert bzw. zusätzlich aufgenommen.

Umweltcheck für die Stadt Bützow

Eine junge Frau, welche ihr freiwilliges ökologisches Jahr im Projektbüro absolvierte, hat 1998 eine Untersuchung zur Umweltsituation der Stadt Bützow durchgeführt. Die erfassten Informationen wurden anhand des Kriterienkatalogs zum kommunalen Umweltwettbewerb der Deutschen Umwelthilfe ausgewertet. Die Stadt hatte demnach in den Bereichen Umweltplanung/Siedlungsplanung sowie Gewässer bereits einen sehr erfreulichen Stand erreicht. Erheblicher Handlungsbedarf bestand hingegen in Bereichen wie Verkehr, Energie oder Öffentlichkeitsarbeit. Der Umweltcheck führte zu konkreten Verbesserungsvorschlägen und nachfolgend auch zu einigen konkreten Verbesserungen; so hat die Stadtverwaltung z.B. Umweltkriterien für den Materialeinkauf festgelegt. (Projektbüro „Meine Stadt – 2010“ o.J. S.17-18)

Umweltgerechte Schule

Schüler der Käthe-Kollwitz-Schule und der Kopernikus-Schule führten 1998 Umweltchecks durch. Sie untersuchten die Energieversorgung und die Abfalltrennung ihrer Schulen. (Projektbüro „Meine Stadt – 2010“ o.J. S.8-12; Langner 1998 c)

Die Käthe-Kollwitz-Schule dehnte diese Arbeiten noch aus: Hier haben Schüler auch Vorschläge zur Umgestaltung ihres Schulhofs entwickelt und diese mit Modellen anschaulich illustriert; andere Schüler haben untersucht, auf welchen Wegen und mit welchen Verkehrsmitteln ihre Mitschüler zur Schule kommen und wo z.B. Gefahren für Rad fahrende Kinder lauern. Das Thema Verkehrswege der Schüler wurde auch vom Geschwister-Scholl-Gymnasium untersucht. (ebd., S. 36-43) Als greifbares Ergebnis dieses Projekts wurde an einer für die Schüler wichtigen Kreuzung eine neue Ampel aufgestellt.

Im Jahr 2003 stellten die Sekundarschulen ihre Arbeiten zum umweltgerechten Schulbetrieb ein, u.a. weil die Zukunft der Schulstandorte innerhalb der Schulentwicklungsplanung fragwürdig war, sowie aus Kapazitätsgründen. Allerdings konnte ein vergleichbares Vorhaben an einer Grundschule initiiert werden.

Tierquartier Trafohäuschen

Die Umweltgruppe des Geschwister-Scholl-Gymnasiums als Teil der Naturschutzjugend Bützow konnte 1998 ein Trafohäuschen vor dem Verfall retten und dieses als Quartier für Schleiereule, Fledermäuse, höhlenbrütende Vögel sowie Kleinsäuger herrichten. Bemerkenswert ist hierbei, dass die Stadt das Häuschen vom regionalen Energieversorger kaufte und es dann den Jugendlichen für ihr Projekt zur Verfügung stellte. (Projektbüro „Meine Stadt – 2010“ o.J. S.12)

Bützow aus Sicht Jugendlicher

Die Fotogruppe des Geschwister-Scholl-Gymnasiums hat 1998 ihren Blick auf ihre Stadt in Fotos festgehalten; sie wurde dabei von einer Mitarbeiterin einer Fotofirma aus Bützow unterstützt. Das Stadtbild, Umwelt, Kultur und Soziales waren dabei die Schwerpunkte (ebd. S. 21). Die Arbeiten wurden zunächst im Bützower Rathaus ausgestellt, später auch in den Partnerstädten Bützows sowie im Umweltministerium des Landes Mecklenburg-Vorpommern.

Umfrage zum Sozialverhalten Jugendlicher

Bereits 1996 hatte eine solche Umfrage stattgefunden. Sie zielte darauf, Problemlagen Bützower Jugendlicher zu ermitteln und dabei u.a. Aussagen zum Umgang mit Rechtsradikalität sowie zum Freizeitverhalten zu gewinnen. 1998 wurde die Umfrage wiederholt, um Entwicklungen feststellen und bewerten zu können.

Bei dieser Umfrage waren Kinder und Jugendliche Ziel der Befragung (es wurden nahezu alle Schüler der vier Bützower Sekundarschulen befragt). Jugendliche waren jedoch auch Akteure, denn die Umfrage wurde von Schülern des Gymasiums im Rahmen einer Projektwoche durchgeführt.

Die Aussagen wurden nach Altersstufen (Klassen 5/6, 7/8, 9/10) ausgewertet. Praktische Konsequenzen sind heute nicht (mehr) feststellbar.

Kinder- und Jugendstadtfest

Das Projektbüro und die Jugendratsversammlung organisierten in Kooperation mit weiteren Partnern im Sommer 1998 ein Stadtfest für Kinder und Jugendliche. In der alten Badeanstalt sowie auf dem Gelände eines Sportvereins fanden u.a. Drachenbootrennen, Konzerte und eine Umweltrallye statt, Informationsstände, Bastelangebote, Geschicklichkeitsspiele und Ponyreiten gehörten ebenfalls zum Programm. (ebd. S. 31-32) Aufgrund der guten Resonanz gab es in den Folgejahren weitere Feste, jetzt in Verbindung mit dem Weltkindertag am 20. September.

Planung Wismarsche Straße Süd

1998 wurde mit den Planungsarbeiten für die Umgestaltung einer ca. 1.700 m² großen Freifläche in der Wismarschen Straße begonnen. Aufgrund von Vorarbeiten des Projektkurses Agenda 21 des Geschwister-Scholl-Gymnasiums und unter Betreuung durch den Demokratischen Frauenbund sowie den Kindertreff, wurden hier Kinder aus dem Wohngebiet in die Planungen einbezogen. Sie erstellten ein Modell, welches zeigt, wie sie sich diesen Bereich wünschen. Die Vorstellungen der Kinder wurden in die Planung und Errichtung des Spielplatzes Eckernförder Straße einbezogen. Der Spielplatz ist bis heute in Betrieb; bei einer später durchgeführten Evaluierung zeigte es sich, dass dieser Spielplatz gegenüber anderen Bützower Spielplätzen am besten erhalten ist.

Zudem konnten die Mitstreiter im Projekt „Meine Stadt 2010“ hier die Erfahrung machen, dass der Bau von Modellen sehr gut dafür geeignet ist, dass Kinder ihre Ideen zur Gestaltung ihres Lebensumfelds ausdrücken und diese in Planungsprozesse einbringen können. Die Methode wurde nachfolgend mehrfach angewendet, so auch bei den bereits weiter oben erwähnten Umweltprojekten in Schulen. Gegenwärtig bemüht sich die Stadt darum, eine neue Grundschule aufzubauen; auch hier wurden Kinder eingeladen, auf die gleiche Weise Ideen für die Gestaltung des Schulgeländes zu entwickeln.

Öffentlichkeitsarbeit

Vom Beginn des Agenda-Prozesses an wurden Jugendliche auch in die Öffentlichkeitsarbeit zur Lokalen Agenda 21 einbezogen. Eine Mediengruppe des Jugendrats verfasste Zeitungsartikel und betreute eine Website redaktionell, u.a. auch um neue Mitglieder zu werben. Die erste Website zum Projekt „Meine Stadt – 2010“ ist seit ca. 2002 abgeschaltet; der Jugendrat betreibt heute allerdings noch ein Weblog unter www.jugendstadtnetz-buetzow.de/.

Kinderstadtplan

Im Jahr 2007 erarbeitet der Jugendrat einen Kinderstadtplan. Er soll Kinder und Jugendliche über sehenswerte Ausflugsziele und die dorthin führenden Verkehrswege informieren – somit ihre Mobilität verbessern und ihre Abhängigkeit von Erwachsenen als Begleitpersonen verringern – und ab Herbst als Papierversion erhältlich sein.

Bilanz

Die Stadt Bützow hat sich mit diesen und weiteren Aktivitäten über mehrere Jahre hinweg überdurchschnittlich für die Partizipation von Kindern und Jugendlichen an der Agenda 21 engagiert. Kinder und Jugendliche konnten bzw. können

Das Projekt „Meine Stadt – 2010“ wurde 2004 beendet. Zudem hat Bützow inzwischen eine Verwaltungsgemeinschaft mit umliegenden Gemeinden gebildet. Damit hat, soweit ich das (anhand von Publikationen, dem Webauftritt bzw. dem Kontakt zu Mitwirkenden) wahrnehmen kann, sowohl die Lokale Agenda 21 insgesamt als auch die Partizipation von Kindern und Jugendlichen deutlich nachgelassen. Der Jugendrat arbeitet immerhin weiter, und auch Projekte wie Kinderstadtplan oder die Mitwirkung von Kindern bei der Gestaltung des neuen Grundschulgeländes tragen den Geist der Partizipation weiter.

 

Der Arbeitsbereich "Agenda 21 und Bildung für nachhaltige Entwicklung" auf umweltschulen.de entstand 2006-2014 in Kooperation mit dem Fernstudiengang Umwelt&Bildung der Universität Rostock; dem heutigen Fernstudiengang Bildung und Nachhaltigkeit.